22.10.23
Von Donnerstag bis Samstag wütete in der dänischen Südsee ein Sturm aus östlicher Richtung. Er schob das, zuvor im Osten, vom Westwind aufgestaute Wasser vor sich her. Sturm und Wasser trafen auf die Inseln und die Ostküste Dänemarks und Norddeutschlands. Auch auf Ærø stieg das Wasser so hoch, wie vor über hundert Jahren nicht mehr.
In dem Bemühen das Geschehene begreiflich zu machen, habe ich Fotos gemacht und zusammengesucht.
Allem voran: Uns ist nicht passiert, unser Boot Emma liegt sicher im Vorgarten, vollkommen unberührt von den Ereignissen. Wir hatten sie, zusammen mit anderen Booten, am Mittwoch gerade noch rechtzeitig an Land geholt.
Von Donnerstagnachmittag bis Samstagvormittag ist keine Fähre mehr gefahren. Die Fähren fuhren mit doppelter Besatzung vor der Insel im Kreis um nicht am Anleger zu zerschellen. Nun fahren sie wieder als wäre nichts geschehen.
Alle Inselbewohner erwachen langsam aus der Schreckensstarre. Heute ist der Tag des Aufräumens. Die Dorfbewohner aus Ommel treffen sich in den beiden Häfen. Fast jeder hat hier ein Boot. Eben war ich noch am Strandby Havn, dort, wo ich jeden morgen baden gehe. Es gab nicht viel zu tun, der Sand, der Seetang und die vielen Steine, die überall herumliegen, werden nachher von einem Räumfahrzeug zurück ins Meer geschoben. So bin ich wieder zurückgefahren, um euch zu berichten. Andere sitzen beieinander, plaudern, trinken Kaffee und erholen sich. Das haben wir gestern mit Freunden im Irish Pub in Marstal auch getan.
Es gibt viele kleine und große Schäden. Kein Mensch ist zum Glück zu Schaden gekommen, von Tieren habe ich wenig gehört. Ein Schäfer überstand zusammen mit seinem Hund und 150 Schafen die Flutnacht auf einem winzigen Hügel auf einer nahegelegenen, kleinen Insel. Nur wenige Wohnhäuser liegen so nahe am Wasser, dass sie zerstört wurden. Allerdings gibt es einige, die Wasser in Erdgeschoss und im Keller hatten. Etliche Bäume sind umgestürzt. In unserem Garten hat ein alter Pflaumenbaum einen dicken Ast verloren. Auf den Wiesen, von denen sich das Wasser jetzt wieder zurückgezogen hat, liegen tausende ertrunkene Regenwürmer. Das habe ich zuvor noch nie gesehen. Ob die Vögel sie sich holen?
In den Häfen sieht es dramatisch aus. Zerschundene und gesunkene Jachten, querliegende Fischerboote. Einige Boot liegen auf dem Steg, Stege sind zerbrochen und Segel zerfetzt. Segler stehend fassungslos weinend am Jachthafen. Alte Molenmauern wurden unterhöhlt und große Steine sind herausgeschwemmt worden.
In Marstal sind die kleinen Badehäuschen, die als Sinnbild der Idylle gelten, weitgehend zerstört. Einzelteile liegen auf den umliegnden Wiesen. Spaziergänger sammeln Geschirrteile, Dosenöffner und Kerzenhalter und stellen sie liebevoll auf die vom Wasser freigegebenen Picknickbänke in der nähe der Ruinen. Die Badehäuser in Ærøskøbing scheinen nicht so stark betroffen zu sein. Dort bin ich aber noch nicht gewesen. Es ist ein schmaler Grat zwischen Katastrophentourismus und dem Versuch das Geschehene zu bergreifen.
Sehr starke Schäden gibt es an einigen Straßen. Die Strandstrade, sie führte in Marstal zwischen den Villen und dem Ufer entlang, gibt es nicht mehr. Der Drejet, die einzige Straße, die den Südostteil der Insel mit dem Nordwestteil verbindet, ist schwer beschädigt. In der Nacht zu Samstag, dem Höhepunkt der Sturmflut, befürchteten viele, die Insel würde in zwei Teile geteilt werden.
Heute beginnen die Aufräumarbeiten, morgen wird Bilanz gezogen. Versicherungen rechnen, Politiker verteilen, Meterologen und Klimaforscher prognostizieren. Die Einheimischen, mit denen ich hier Kontakt habe, nehmen das alles sehr gelassen hin. Erstmal aufräumen. Das Leben geht weiter. Die Sonne scheint, die Last auf den Schultern wird leichter. Urlauber, die im kommnden Frühjahr die Insel besuchen, werden Altes, Geliebtes vermissen und Neues entdecken. Ich setze mich auf die Bank unter dem Walnussbaum, atme durch, die Sonne fällt durch die restlichen Blätter auf mein Gesicht und ich weiß, hier ist es einfach schön.
Bei Facebook, Instagram, dem Fernsehen und den Onlinezeitungen gibt es tausende Fotos aus ganz Dänemark. Auch der Norden Deutschlands wurde schwer getroffen, erfahren wir hier. Mir ist das Wetter noch nie so nah gekommen. Es war vorbei mit dem Genuss und der klammheimliche Freude über die Kraft des Windes und des Meeres. Vorbei war das staunende Lauschen auf das Brüllen des Sturmes. Am Freitagmorgen lehnte sich eine Freundin das letzte Mal freudig gegen den starken Wind. Danach wurde alles anders. Daran werde ich mich lange erinnern.
Danke, für die packende Schilderung über den Verlauf der Sturmflut bei Euch. Zeigt es mir doch, wie klein und schutzlos ist der Mensch, wenn die Natur ihre Gewalt und Kraft zum Einsatz bringt. IchhattbeDeineSchilderungen